Weisheit
Es gibt eine Radierung auf Papier von Carl Müller-Baumgarten mit dem Titel „Wer war der Thor, wer Weiser, wer Bettler oder Kaiser?“ Man kann es keinem der Schädel mehr ansehen, ob er früher einmal eine Narrenkappe, einen Professorenhut, eine schmutzige Mütze oder eine Krone getragen hat. Vielleicht wollte der Künstler mit dem Bild auch ausdrücken, dass alles Irdische der Vergänglichkeit unterworfen ist und die Dinge, die uns in der Welt voneinander trennen, sich im Tod auflösen.
Aber ist das wirklich so?
Natürlich ist es nicht egal, ob man als Narr oder Weiser durchs Leben gegangen ist. Und sicherlich macht es einen großen Unterschied, ob man als Bettler auf der Straße sein Leben fristet oder ob man im Luxus sein Leben genießt.
Von Johann Wolfgang von Goethe wurde im Ausland gesagt: „Die Deutschen haben nicht nur den größten Dichter, sondern auch den weisesten Menschen.“ Vielleicht war das in Bezug auf die irdische Weisheit übertrieben, jedoch nicht unbedingt falsch.
Aber Goethe hat sich schon in jungen Jahren bewusst vom Gott der Bibel, der Furcht des Herrn und der göttlichen Weisheit abgewandt. Er hatte nämlich sehr wohl bemerkt, dass Frömmigkeit seinen Ruhm in der Welt deutlich beeinträchtigt hätte. Über seinen Zeitgenossen Matthias Claudius wunderte er sich sehr, weil ein so kluger Mann so einfältig glaubte und danach lebte.
Goethe ist über achtzig Jahre alt geworden, wurde immer berühmter, aber dann? Falls er nicht vor seinem Tod noch umkehrte zu Gott, wird man ihm am Himmelstor nicht mit den auf der Erde gewohnten Lorbeerkränzen entgegengekommen sein. Die Tür wäre vor ihm verschlossen geblieben, auf ewig zu. Was wäre dann von seiner Weisheit übriggeblieben? Hat es sich wirklich gelohnt, ein paar Lebensjahre Millionen von Verehrern gehabt zu haben, jedoch die Ewigkeit getrennt von Gott zu verbringen?
Unter der erwähnten Radierung steht noch ein Satz: „Ob Arm, ob Reich, im Tode gleich.“ Dahinter steht ein Punkt. Ich würde ein Fragezeichen setzen. Denn mit dem Tod ist nicht alles vorbei. Dessen eingedenk kann man dem Satz nicht zustimmen.
Der wahrhaft Weise sucht mehr als nur seinen Status in der Welt. Die wahre Weisheit beginnt mit der Furcht des Herrn. Das bedeutet, sie erkennt die Begrenztheit der menschlichen Klugheit und Weisheit und ordnet sich deshalb dem allmächtigen Gott des Himmels und der Erde unter.
Die Bibel setzt andere Parameter für Weisheit und Verstand als die Welt. Sie klammert den unsichtbaren Teil der Realität unserer Welt und die Ewigkeit nicht aus, sondern bezieht sie in die Kalkulation mit ein.
Und so kommt etwas völlig anderes bei der Definition von Weisheit und Verstand heraus. Etwas, das auch schon der weise Salomo erkannte und in unserem Vers formulierte:
„Der Weisheit Anfang ist die Furcht des Herrn und den Heiligen (Gott) erkennen, das ist Verstand.“
Möge uns allen diese Weisheit und dieser Verstand gegeben sein!
Amen
Lied: Es geht ohne Gott in die Dunkelheit - Manfred Siebald